Vorstadtbrunnen
Vorstadtbrunnen
Lutz Brockhaus, 1986, Marmoer
Beschreibung
Außerhalb der ursprünglichen Stadtbefestigung wurde die Vorstadt im Mittelalter als Marktstraße angelegt, die im Gegensatz zum Kern der Altstadt auffallend breit ist. Aus diesem Grund wurde die imposanten Brunnenbecken als zusätzliche Verkehrsbremse in die Vorstadt plaziert, die Gestaltung des Brunnens wurde dann 1986 als Wettbewerb ausgeschrieben.
Der an der Fachhochschule Aachen lehrende Prof. Lutz Brockhaus greift mit seiner figurativen Brunnenszenerie die Tradition der symbolisch erzählenden, barocken Brunneninszenierungen auf. In moderner Formensprache, die sowohl gegenständliche wie abstrahierende Tendenzen beinhaltet, gestaltet der in Darmstadt lebende Künstler ein marmornes Figurenensemble, dessen allegorische Bedeutung rund um das Thema des Wasserkreislaufes angelegt ist. Die Figuren beschreiben dabei den Ursprung und Nutzen des Brunnenwassers. Sie sind Personifikationen der Wassertechnik und der Brunnenfunktion. Der Zyklus des Wassers zwischen Natur und Leben, angefangen mit dem Hervorströmen aus
unendlichen Tiefen, über die soziale und praktische Funktion in der Stadt, bis zur Rückkehr in die Erde, stellt das Rahmenthema der Brunnenszenerie dar. Dabei versinnbildlichen die stufenartig übereinandergestaffelten Wasserbecken die verschiedenen Funktionen eines traditionellen Stadtbrunnens: Im obersten Becken wird das frische, klare Wasser für den menschlichen Genuss aufgefangen, von dort strömt es weiter zur praktischen Nutzung, wie zum Beispiel dem Wäsche waschen. Schließlich gelangt es im tiefsten Becken an, in dem das Vieh getränkt wird, um dann endlich zurück in die Erde zu gelangen.
Neben der historischen Themenvorgabe betont Brockhaus bewusst auch die kommunikative Bedeutung der Brunnenanlage, indem lebensgroße Figuren die Szenerie beherrschen. Am oberen Beckenrand steht eine aus stereometrischen Elementen gebildete, kubistisch abstrahierte Gestalt, bei der der Wasserkreislauf beginnt. Sie symbolisiert sowohl die natürliche Herkunft als auch die technische Erschließung des Wassers und kann somit als Sinnbild des geologischen Ursprungs wie auch der technischen Bändigung des Wassers gesehen werden. Allein; und etwas abseits steht eine weibliche Figur, die jedoch durch ihre frontale Ausrichtung zum Brunnen in direkte Beziehung zu der Anlage tritt. Der Brunnen wird somit räumlich geöffnet, man kann ihn begehen und er verliert den Eindruck eines denkmalartigen, geschlossenen Objektes. In tätiger Haltung ist die zweite Figur, die durch ihr langes Tuch als Wäscherin zu erkennen ist. Doch was im ersten Moment so klar erscheint, gibt schon bald Rätsel auf. Ihr Gesicht zeigt zwei voneinander unterschiedliche Ansichten: eine physiognomisch erkennbare und eine gesichtslos abstrahierte. Somit bekommt die Figur trotz ihrer so sehr dem Diesseits verhafteten Körperlichkeit etwas befremdliches, rätselhaftes. Im nächsten Becken liegt ein monolithisch blockhaft gearbeitetes Hemd, das noch einmal auf den funktionalen Charakter des Brunnens hinweist. Der Kreislauf schließt sich durch die Rückkehr des Wassers zu seinem naturhaften Ursprung zur Erde, in Form eines urzeitlichen Tieres, aus dessen Maul das Wasser in Strahlen heraus spritzt und schließlich im Boden versickert.  Â
Das Werk von Lutz Brockhaus weist auf den ewigen Kreislauf des Lebens und die elementaren Zusammenhänge von Werden und Vergehen hin, und enthält eine nachdenkliche Aussage über die Sinnzusammenhänge von Mensch und Natur.